Ehrenamt: „Die Gesellschaft lebt von Mitgestaltung“

Ehrenamtliches Engagement ist in der Geselllschaft unverzichtbar. So auch im Handwerk. Prof. Dr. Thomas Klie, Leiter des Zentrums für zivil­gesellschaftliche Entwicklung in Freiburg und Berlin, erläutert im DHZ-Interview die Bedeutung des Ehrenamts und die Motive von Menschen, die sich freiwillig engagieren.

Von Daniela Lorenz

DHZ: Herr Prof. Klie, engagieren sich die Deutschen genug?
Thomas Klie: Es ist sehr erfreulich, dass sich in Deutschland so viele Menschen freiwillig engagieren. Das Ehrenamt hat eine lange Tradition. Bestimmte staatliche Aufgaben werden auf die Bürger übertragen, was für die Stabilität unserer gesellschaftlichen Strukturen von großer Bedeutung ist. Eine weitere Tradition liegt in der freiwilligen Mitgestaltung gesellschaftlicher Angelegenheiten. Hier finden sich vielfältige Formen des Engagements.

DHZ: Engagieren sich auch immer mehr Menschen?
Klie: Es engagieren sich mehr, aber sie engagieren sich auch anders. Traditionelle Vereine haben oft Mühe, Nachwuchs zu finden. Gleichzeitig werden sehr viele neue Vereine auf neuen Feldern des Engagements gegründet. Das haben wir zuletzt in der Flüchtlingssituation gesehen.

DHZ: Wie würde ein Staat ohne freiwilliges Engagement aussehen?
Klie: Er würde nicht funktionieren. Die Gesellschaft lebt immer von der Mitgestaltung und Mitverantwortung der Bürger, die sich mit ihrem Umfeld und gesellschaftlichen Aufgaben identifizieren. Der Staat kann Voraussetzungen schaffen, dass sich Engagement entfaltet, aber er wird es niemals ersetzen. Er kann es seinen Bürgern auch nicht verordnen.

DHZ: Was motiviert die Menschen?
Klie: Die Motive sind je nach Lebenssituation und -phase unterschiedlich. Für Kinder und Jugendliche ist das Engagement die Möglichkeit, die Welt zu entdecken, Freunde kennenzulernen, neue Erfahrungen zu machen. Für ältere Menschen ist es eine Möglichkeit, ihr Leben aktiv zu gestalten. Als Gruppe engagieren sich ältere Menschen auch am meisten. Das wichtigste Motiv für ehrenamtliches und freiwilliges Engagement ist, dass man einen Beitrag dazu leisten möchte, in der Gesellschaft gut leben zu können.

DHZ: Üben Frauen und Männer Ehrenamt unterschiedlich aus?
Klie: Ehrenämter werden eher von Männern ausgeübt, wenn damit ein Amt verbunden ist, eine Verpflichtung oder eine Gratifikation. Daher ist das öffentlich sichtbare Engagement häufiger von Männern geprägt. Stilles Engagement, das hoch bedeutsam für den Zusammenhalt vor Ort ist, üben eher Frauen aus. Deshalb ist auch die Frage nach dem gerechten Zugang zum Engagement zu stellen. Nicht nur auf Ebene der Geschlechter, sondern auch unter dem Aspekt der sozialen Ungleichheit.

DHZ: Was bedeutet das?
Klie: Engagement ist ein Mittelschichtsphänomen. Es hängt ab von Bildung und Einkommen. Dass es mehr Engagement gibt, hängt auch mit einem höheren Bildungsgrad der Gesellschaft zusammen. In Regionen mit komplizierten Strukturbedingungen ist das Engagement deutlich niedriger als in prosperierenden Regionen. Es ist nachweisbar, dass Menschen mit einem niedrigen sozialen Status sich deutlich weniger engagieren als Menschen mit einem höheren sozialen Status.

DHZ: Übernimmt das Ehrenamt auch zu viel Verantwortung?
Klie: Ehrenamtliches Engagement ist wunderbar und oftmals sehr qualifiziert. Aber das Ehrenamt darf nicht dort funktionalisiert werden, wo der Staat zentrale Verpflichtungen wahrzunehmen hat – etwa im sozialstaatlichen Bereich. Der Staat darf das Ehrenamt nicht für Aufgaben einspannen, die zu seinen Pflichten zählen. Sich in zentralen Fragen der Existenzsicherung aus der Verantwortung zu stehlen, ist eines Sozialstaates nicht würdig.

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Ehrenamtliche arbeiten im Handwerk beispielsweise in den Prüfungsausschüssen, den Innungen und den Kreishandwerkerschaften. – © www.amh-online.de